"FECHTEN VERSTEHEN": hochaktuell und umfassend - ein Kompendium für jeden Trainer, Fechter und Betreuer! *************************************************************************************************

 

 

 

VORWORT DES AUTORS

"  Ihre Fechtschule ist für intelligente Menschen gedacht."                                                          
Janusz Smoleński


„Nur wer sich rückhaltlos seinem Beruf
als Trainer aufopfert, wer das Talent und die
Fähigkeit besitzt, durch stete Erweiterung seines
Wissens an sich selbst zu arbeiten, wird - mit einem
kleinen Schuss göttlicher Inspiration - ein guter
Trainer und Lehrer werden.“

Antoni Piechniczek


Der weithin bekannte englische Fechtmeister George Silver schrieb im
Jahr 1599 in seinem berühmten Buch Paradoxes of Defence (Paradoxien
der Verteidigung), dass er über „ye ful prfection and knowledge of ye
prfyt vse of all manner of weapons“ - die volle Perfektion und das
vollständige Wissen für den perfekten Gebrauch aller Waffenarten
verfüge. Zudem stellte er fest, dass die Ausübung einer Waffenkunst
unter anderem alle „fehlgeleiteten Vorstellungen“ vertreibe. Das habe ich
mir zu Herzen genommen, und ich bemühe mich ständig, bescheidener zu
sein. Deshalb möchte hier auch nur soviel sagen: ich bin als
Turnierteilnehmer, Trainer, Wettbewerbsveranstalter, Verbandsvertreter,
Forscher und Autor im Fechtsport engagiert - seit nunmehr fast siebzig
Jahren. Es ist mir gelungen, auch selbst einige gute Ergebnisse auf der
Planche zu erzielen. Ich habe eine große Zahl von Fechtern trainiert, die
bei polnischen und internationalen Wettkämpfen extrem gut
abgeschnitten haben und bei den Olympischen Spielen und
Weltmeisterschaften ebenfalls hohe Platzierungen erreichen konnten.
Weitere Einzelheiten zu meinen fechterischen Aktivitäten wird der
intelligente Leser (unserm Motto entsprechend) im letzten Kapitel dieses
Buches finden. Sollte nun ein Teil der Leserschaft an meiner
Bescheidenheit zweifeln, so möchte als Erklärung hierfür meine tiefe
Überzeugung anbringen, dass wirklich wichtige und ernsthafte Dinge
ohne einen gewissen Sinn für Humor für niemanden zu erreichen sind.
Für den Moment möchte ich die Sache aber etwas ernster angehen. In
der Bibliothek meines privaten „Fechtmuseums“ befinden sich Hunderte
von Fechtanleitungen aus vielen Ländern, alte und neue. Ich habe sie alle
mit regem Interesse gelesen und dabei eine Menge gelernt. Was mir dabei
auffällt, ist die Tatsache, dass die meisten dieser Textbücher über das
Fechten, selbst die modernen, auf gewisse Weise sehr einseitig sind. Sie
enthalten etliche Abbildungen zu Fechtstellung, Ausfall, Flèche, den
verschiedenen Paraden und detaillierte Erklärungen zu den
unterschiedlichen Positionen und Stößen. Natürlich sind diese
Beschreibungen und Zeichnungen überaus notwendig und nützlich. Was
mich aber überrascht, ist, dass nur sehr wenige Autoren im Detail
diskutieren und beschreiben, wie diese Aktionen zu vermitteln und
anzuwenden sind, welche Methoden dafür genutzt werden können oder
worin die vorrangigen Qualitäten eines Fechtmeisters bestehen.
Die wichtigsten Prinzipien des Trainings und der Vermittlung
motorischer Fertigkeiten werden häufig ganz außer Acht gelassen.
Bedeutenden sozialen und psychologischen Aspekten des Lernens, des
Trainierens und der Rivalität bei sportlichen Aktivitäten wird viel zu
wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Das betrifft so wichtige Themen wie
die zahlreichen Dimensionen der Persönlichkeit, die unterschiedlichen
Temperamentstypen, den Einfluss von Motivation und Aktivation auf
unseren Unterricht und unsere Leistungen, die diversen Komponenten der
Leistungsmotivation, die - vom strategischen und psychologischen
Standpunkt aus betrachtet - unterschiedlichen Typen von Fechtern, die
programmatische Ausgestaltung und Planung des Trainings, die
Trainingsphasen und die verschiedenen Stufen der Vermittlung/des
Erlernens motorischer Fertigkeiten.
Sehr häufig fehlt es an klaren Definitionen und Beschreibungen der
aus kräftemäßiger Fitness und Koordinationsvermögen bestehenden,
funktionsmotorischen Kondition eines Fechters und ihrer Bedeutung für
das Fechten. Und was für mich sehr, sehr überraschend kommt, wenn
man ihre Bedeutung für das Fechten bedenkt - die meisten Autoren
erwähnen nicht einmal die verschiedenen Arten der senso-motorischen
Reaktionen, alldieweil doch offensichtlich ist, dass sich die gesamten
technisch-strategischen Möglichkeiten eines Fechters aus den
unterschiedlichen Reaktionstypen ergeben. Ebenso liegt es für mich auf
der Hand, dass man auf einem Gebiet, das sich mit der menschlichen
Bewegung befasst - in unserem Fall das Fechten - nur dann wirksam und
erfolgreich arbeiten kann, wenn man viel darüber weiß: es kann nur
derjenige ein guter Chirurg sein, der sich auch mit der Anatomie, der
Physiologie, der Pathologie und auf anderen relevanten Fachgebieten zu
100 % auskennt.
Also werde ich mit diesem Buch versuchen, das Fechten zu erläutern,
um es in seiner Gesamtheit, seiner Vielseitigkeit und seiner Komplexität
begreifbar zu machen. Wie der englische Trainer Pat Pearson so treffend
bemerkte: „Professor Czajkowski hat uns gezeigt, dass das Fechten nicht
so leicht zu verstehen ist, wie es manchen auf den ersten Blick erscheinen
mag“. Das ist vollkommen richtig. Das Fechten ist eine sehr komplizierte
Angelegenheit, die auf den senso-motorischen Möglichkeiten eines
kognitiv-motorischen Typs beruht - was soviel bedeutet, wie dass die
motorischen Aktivitäten eines Fechters (seine Bewegungen und
Aktionen) in engstem Zusammenhang mit seiner Wahrnehmung, seiner
Reaktion, seinem Denken, seiner Entscheidungskraft und natürlich
seinem Aktivationsniveau, seiner Leistungsbereitschaft und seinen
Emotionen stehen. Ich habe mir große Mühe gegeben, diese
Zusammenhänge in dem vorliegenden Band zu verdeutlichen und zu
erklären.
Außerdem möchte ich noch einmal betonen, dass ich fest von der
Einheit und der wechselseitigen Beziehung zwischen Theorie und Praxis,
Kognition und Aktion überzeugt bin und dieser auch sehr viel Wert
beimesse. Die enorme Bedeutung des theoretischen Fachwissens für das
Fechten soll hier noch einmal ganz klar unterstrichen werden. Ohne
theoretische Fachkenntnisse sind Fehler vorprogrammiert. So wird
beispielsweise ein Trainer, dem die Gesetzmäßigkeiten nach Yerkes-
Dodson nicht vertraut sind, das Aktivations- und Reizniveau seiner
Schüler übersteigern und dadurch schlechte Leistungen und Niederlagen
verursachen, dass er ihnen während der Gefechte wild aufmunternde
Worte, „Befehle“ und taktische Anweisungen zuruft. (In einer sehr
angespannten Gefechtssituation, in der, wie so oft, der Sieg oder die
Medaille von nur einem Treffer abhängt und der Fechter hochgradig
motiviert, nervös und sehr aufgeregt ist, sollte der Trainer versuchen,
seinen Schützling zu beruhigen und ihn nicht noch weiter anstacheln).
Gleichermaßen wird ein Trainer, der die Grundsätze des Unterrichtens
und Erlernens motorischer Fertigkeiten nicht kennt, sich bemühen, seinen
Schülern in nur einer Unterrichtsstunde drei neue Aktionen zu vermitteln.
Oder er versucht - ohne um das Prinzip eines fachbezogenen Trainings zu
wissen - die spezifische Ausdauer seiner Fechter durch Langstreckenläufe
zu verbessern, was vollkommen absurd ist.
In voller Anerkennung des enormen Wertes und der immensen
Bedeutung theoretischer Fachkenntnisse - und der daraus erwachsenden
Notwendigkeit für einen Trainer, sich die unterschiedlichen Aspekte des
Fechtens, der Trainingsmethodologie, der Sportpsychologie und so fort
durch Lesen, Lernen und Diskussionen kontinuierlich anzueignen - sollte
man dennoch nicht vergessen, dass auch die praktische Erfahrung, das
pädagogische Gespür und der gesunde Menschenverstand des Trainers
eine angemessene Beachtung verdienen und diese sinnvoll zu nutzen
wissen. Hierauf bezog sich auch der im 16. Jahrhundert lebende Pariser
Chirurg Ambroise Paré, als er schrieb: „Bloße Fachkenntnisse ohne jede
praktische Erfahrung vermitteln dem Chirurgen nicht das erforderliche
Selbstvertrauen.“
Der Leser wird feststellen, dass in diesem Buch relativ viele
Wiederholungen vorkommen - in den verschiedenen Kapiteln werden
dieselben Themen immer wieder angesprochen. Ich habe es bewusst so
gehalten, ganz im Sinne des Wortes „repetitio est mater studiorum“ (Die
Wiederholung ist die Mutter allen Lernens). Ich bin fest überzeugt, dass
die Wiederholung gewisser Aussagen, die Verlautbarung bestimmter
Meinungen, das Heranziehen unterschiedlicher Beispiele und die
Darlegung eines bestimmten Standpunktes aus einem immer wieder
anderen Kontext heraus dem Leser ganz erheblich dabei helfen können,
die gesamte Thematik tiefgreifend zu erfassen, ein breites Verständnis
dafür zu entwickeln, die verschiedenen Theorien, Praktiken, Übungen,
Aktionen, Haltungen, Prinzipien, Methoden und so weiter leichter im
Gedächtnis zu behalten und die unterschiedlichen Verbindungen und
wechselseitigen Beziehungen zwischen ihnen zu verstehen.
In diesem Buch werde ich mich daran begeben, mit etlichen Mythen
aufzuräumen und die vielen negativen Seiten diverser „funktionaler
Festlegungen“ zu verdeutlichen, obwohl ich - wie zum Beispiel auch
Einstein und Paderewski - mir sehr wohl im Klaren darüber bin, wie
schwierig sich ein solches Unterfangen gestalten kann (siehe auch das
Kapitel XII - Kräftemäßige Fertigkeiten, senso-motorische Fähigkeiten
und Wettkampfergebnisse auf verschiedenen Trainingsstufen).
Ich habe die Geschichte des Fechtens studiert, und sie liegt mir ganz
besonders am Herzen. Insofern bemühe ich mich, all jene Dinge und
Herangehensweisen zu bewahren, die an den alten Schulen gut und
richtig waren und die nach wie vor genutzt und weiterentwickelt werden
können. Im gleichen Sinne lehne ich allerdings all jene Methoden und
Aktionen ab, die im 19. Jahrhundert vielleicht ihre Gültigkeit hatten, die
inzwischen aber überholt sind.
Besonders großen Wert lege ich auf eine logische, stimmige, klare und
aktualisierte Terminologie. Wie viele Trainer in wie vielen Ländern sich
nach wie vor laienhaft darin versuchen, immer wieder neue Ideen, neue
Aktionen und neue strategische Lösungen auf der Basis einer
Terminologie zu entwickeln, die seit 100 Jahren nicht mehr zeitgemäß ist,
erstaunt mich immer wieder aufs Neue. Als ich einmal einen
Ausbildungskurs für Trainer in Österreich durchführte, stellte ich mit
Erstauen fest, wie blindlings österreichische Trainer den Theorien und
Praktiken ebenso wie der Terminologie und Klassifikation von
Fechtaktionen des Luigi Barbasetti anhingen. Selbstverständlich war
dieser ein sehr bedeutender Fechtmeister - seine beiden Bücher sind
äußerst hervorragend und sehr interessant. Er hat das Fechten sehr weit
vorangebracht, war ein Meister der neuen italienischen Schule, sowohl im
Säbel- als auch im Florettfechten. Doch seit seiner Zeit hat sich das
Fechten weiter entwickelt und gewaltige Veränderungen durchlaufen -
die Regeln und Gepflogenheiten der Verbandsführung sind nicht mehr
dieselben; es wurden elektrische Meldeanlagen eingeführt; die Regeln
und Verfahren zur Durchführung von Turnieren haben sich geändert, und
es sind zahlreiche neue Ideen, Methoden, Fechtaktionen und
Strategiekonzepte eingeführt worden. Man kann die Aktionen und
Einsatzmöglichkeiten zum Beispiel eines Angriffs mit unbestimmtem
Ausgang oder eines Angriff mit Absichtswechsel bei der Durchführung
nicht anhand einer Terminologie des 19. Jahrhunderts vermitteln und
erklären, ganz einfach weil diese Aktionen in der damaligen Zeit noch
unbekannt waren und folglich auch nicht unterrichtet wurden.
Eine klare Terminologie und Klassifizierung der Fechtaktionen ist in
den USA und in Deutschland besonders wichtig, weil dort über lange Zeit
hinweg viele Trainer verschiedener Schulen und aus vielen verschiedenen
Ländern unterrichtet haben, woraus sich ein gewisses Chaos der
unterschiedlichen Vorstellungen, Schulen und Terminologien ergeben hat.
Ich hoffe inständig, dass der Leser nach der Lektüre von Kapitel II -
Fechtaktionen – Terminologie, ihre Klassifikation und Anwendung im
Wettbewerb mit mir überstimmen wird, dass eine Aufspaltung der
zugrundeliegenden Klassifizierung in Fechtaktionen und Taktische
Aktionen aus einigen Gründen sehr notwendig war – und sei es auch nur,
um festzuhalten, dass eine Grundaktion unter vollkommen verschiedenen
Zielsetzungen äußerst variabel eingesetzt werden kann (ein direkter Stoß
kann als Angriff, Riposte, Konterriposte, Arretstoß, Remise und so weiter
ausgeführt werden. Ebenso kann beispielsweise eine Tempoaktion wie
folgt angewendet werden: als vorhergesehene Aktion in zweiter Absicht,
als Aktion mit unvorhergesehenem Wechsel der Absicht oder als das
mögliche Ende eines Angriff mit unbekanntem Ausgang).
Sollte nun ein Teil der Leserschaft mit Erstaunen feststellen, dass in
diesem Band keinerlei Abbildungen zu finden sind, weder zu
Fechtstellung, Ausfall oder Flèche, zu den verschiedenen Paraden oder
Stößen und Schlägen, noch zu den Bauteilen der Waffen oder den
Bemessungen der Fechtbahn, so lautet meine Antwort auf mögliche
Fragen, dass solcherlei Abbildungen in Hunderten anderer Fechtbücher
(einschließlich etlicher von mir selbst verfasster) ohne allzu große Mühe
nachzuschlagen sind.
Desweiteren möchte ich noch ausdrücklich betonten, wie wichtig die
Motivation und die Liebe zum Fechten aufseiten des Trainers ist (und
dieses Buch richtet sich vor allem an den Trainer). Oder wie der oben
erwähnte Ambroise Paré es sagte: „Wer den Beruf eines Chirurgen um
des Geldes willen ergreift, wird damit nichts zustande bringen“. Dieses
Prinzip gilt für den Fechtmeister natürlich ganz genauso.
Nicht zuletzt möchte ich in diesem Vorwort auch noch meine
Danksagungen anbringen. Mein aufrichtiger Dank gilt Herrn Jeremy
Schmid, ohne dessen Initiative, Inspiration und direkten Kontakt zum
Verlag dieses Buch niemals ans Licht der Öffentlichkeit gekommen wäre.
(Herr Schmid ist der Herausgeber der sehr von mir geschätzten
Zeitschrift The Swordmaster und hat mich und meine vor vielen Jahren in
Großbritannien erschienenen Artikel „entdeckt“).
Meine Schüler bezeichnen mich häufig als „Geduldsengel“ (und
ehrlich gesagt nenne ich mich selber noch viel öfter so). Allerdings hat
sich bei der Vorbereitung dieses Buches – beim Tippen, Korrekturlesen,
Drucken und Versenden zahlloser Emails –gezeigt, dass mein Schüler,
Student und „ehrenamtlicher Computersekretär“, „Michael“– Jason
Fechtmeister Sheridan, der an der Sporthochschule Kattowitz bei mir sein
Diplom ablegte, der wahre „Geduldsengel“ von uns beiden ist.
Und nun, zum wirklich allerletzten Ende möchte ich den Leser noch
darüber informieren, dass ich dabei bin, ein neues Buch mit dem Titel
Fechten – Vergangenheit und Gegenwart zu verfassen. Der erste Teil
dieses Buches wird der Geschichte des Fechtens gewidmet sein, während
der zweite Teil eine umfassende und detaillierte Beschreibung des
Trainings, der Techniken und Strategien, der psychomotorischen
Fertigkeiten und der Arbeit des Trainers umfasst. Ich hoffe, dass dieses
Buch – mit Hilfe von Herrn Schmid und ein wenig göttlichem Beistand –
schon bald in den Vereinigten Staaten erscheinen wird.
Bytom, Polen - September 2002

 

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